Mit neun Jahren ab dem 5.12. 1966 kam ich aufs Gymnasium nach Sieglar. Die gut 10 km wurden wir mit einem VW-Bus zur Schule gebracht. Wir waren sechs oder sieben Kinder, und unsere Mütter wechselten sich mit dem Fahren ab. Meine Brüder und die anderen Jungen wurden noch weiter gebracht, sie gingen in Troisdorf auf das Jungengymnasium.
An diese etwas mehr als zwei Jahren habe ich nur wage Erinnerungen. Ich denke noch ab und zu an unsere Deutschlehrerin, die irgendwann in der Psychatrie gelandet ist. Genie und Wahnsinn liegen manchmal eng beieinander hieß es wenn über sie geredet wurde.
Nur durch die Zeugnisse, die ich bis jetzt behalten habe und von Umzug zu Umzug mitnahm, weiß ich überhaupt noch welche Fächer unterrichtet wurden. Von Erdkunde, Geschichte oder Biologie weiß ich noch nicht einmal mehr, daß wir sie hatten. Sport hieß noch "Leibesübungen" und wurde getrennt vom Schwimmen benotet. Das und Religion konnte ich gut, in alle anderen Fächer war ich mangelhaft oder ausreichend.
Auch an meine Mitschülerinnen habe ich keine Erinnerungen. Die einzigen die mir in den Sinn kommen, waren die Schellzwillinge. Ihre Eltern betrieben eine Bäckerei in Rheidt und sie hatten immer die leckersten Pausenbrötchen dabei. Ich war neidisch auf sie, weil sie soviel Taschengeld bekamen, dass sie sich fast täglich am Büdchen an der Bushaltestelle Süßigkeiten kaufen konnten. heute denke ich, dass ihre Eltern keine Zeit für sie hatten und diesen Mangel mit Geld ausglichen.
Im oberen Teil des Zeugnis gab es unter dem Namen und dem Schuljahr die nicht fachgebundenen Eigenschaften, die ebenfalls benotet wurden: Führung, Beteiligung am Unterricht, Ordnung.
Meine Führung schwankte zwischen "im allgemeinen gut" und "kann sich noch nicht einfügen". Bis heute noch nicht. Meine Handschrift die im unteren Teil des Zeugnis -zusammen mit Nadelarbeit und Leibesübungen- benotet wurde, steigerte sich vom ausreichend zum befriedigend, während meine Ordnung die ganze Zeit nicht zufriedenstellend blieb.
Zu meiner Beteiligung am Unterricht steht dort, daß sie stark wechselnd ist, ich oft abgelenkt bin, mich stärker konzentrieren muß. Aus heutiger Sicht würde ich sagen, ich war eine Träumerin. Ich schuf mir meine eigene Welt, spielte mit zwölf Jahren noch mit Puppen und mit meiner sieben Jahre jüngeren Schwester Frisör und Kaufmannsladen.
Unsere ganze Familie hat immer viel gelesen. Jeden Samstag vormittag fuhr unsere Mutter mit uns nach Troisdorf in die Stadtbücherei. Das Limit waren zehn Bücher pro Person. Das schafften wir alle in einer Woche. Ich las die eher typischen Mädchenbücher, und obwohl ich nach einem Kinobesuch in der Dorfgaststätte in Niederkassel viele Jahre von Winnetou schwärmte, habe ich bis heute kein einziges Buch von Karl May gelesen.
Um den Beginn der Schuljahre von Ostern auf den Sommer zu verlegen, wurden 1967 zwei Kurzschuljahre eingeführt, die insgesamt 16 Monate dauerten. Unverständlich warum nicht ein oder zwei "Langschuljahre" beschlossen wurden.
Meine Zeit auf dem Gymnasium fand damit ihr Ende. Im Februar 1969 bekam ich mein Abgangszeugnis mit dem Hinweis das ich jetzt die Realschule in Troisdorf besuchen würde. Eine Schule besuchen hört sich sehr freundlich an. Viel besser wurde es allerdings nicht für mich.
Meine Klassenlehrerin war sehr nett, an meinen Noten änderte es kaum etwas. Im zweiten Halbjahr 1968/69 bekam ich in den Fächern Deutsch, Geschichte, Erdkunde, Englisch, Biologie, Musik, Leibesübungen, die Note ausreichend, in Mathematik sogar mangelhaft. Als im nächsten Schuljahr noch Englisch und Physik mangelhaft wurden, musste ich eine Nachprüfung machen. Diese habe ich zwar bestanden, aber es ging auf diesem Notenniveau bei mir weiter.
Damals durfte man nicht zweimal hintereinander Nachprüfungen machen, und wenn ich das Schuljahr hätte wiederholen müssen und vielleicht wieder sitzen geblieben wäre, hätte mich keine Schule mehr nehmen müssen. Die allgemeine Schulpflicht dauerte bis zum vierzehnten Lebensjahr und meine Eltern wollten nicht riskieren, das meine Schulkarriere ohne Abschluß endete.So entschloss sich meine Mutter, noch eine Stufe nach unten zu gehen und meldete mich auf der Hauptschule in Lülsdorf an.
Also Hauptschule. Schon damals unbeliebt bei Akademikereltern. Nur die Arbeiterkinder gingen auf die Hauptschule. So wie sie früher nur auf die Volksschule gingen, um anschliessend Friseuse oder Automechaniker zu werden.
Für mich bedeutete Hauptschule aber, plötzlich eine gute Schülerin zu sein. Es war völlig ungewohnt, zu den besten in der Klasse zu gehören. In einem Alter wo nicht nur im Kopf ein grosses Durcheinander herrscht, war ich wie über Nacht konzentriert, sprachgewandt und selbstbewusst geworden. Ich lernte zu argumentieren und mir wurde zugehört. Nicht nur von meinen Mitschülern, sondern auch von den Lehrern. Von dem kleinen verschüchtertem Mädchen wurde ich zur frechen Teenagerin, die kein Blatt vor dem Mund nahm.
Im Juni 1972 erhielt ich mein Abschlusszeugnis. Unter den Noten standen die Sätze: hat das Ziel der Hauptschule erreicht. Laut Konferenzbeschluß ist sie geeignet für die Aufnahme in die Klasse 10 der Hauptschule oder der Fachoberschule.
Dank der Umsicht und der Unterstüzung meiner Mutter habe ich meine Schullaufbahn erfolgreich fortgesetzt. Im wahrsten Sinne des Wortes gesetzt, denn ich saß noch viele Jahre in der Schule, später in Hörsälen der Universität. Nie wieder stand in einem Zeugnis die Note ausreichend oder mangelhaft. Mein schulischer Richtungswechsel hat nur wenige Kilometer von meinem Einschulungsort seinen Lauf genommen.
Aber nun gab es erstmal Sommerferien mit einem sechswöchigem Aufenthalt in England. Am 1.August 1972 begann meine Internatszeit auf der Berufsfachschule in Bad Godesberg.
Kommentar schreiben