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Erziehung ab den 1950er Jahren II

Auch wenn meine Mutter keine zärtliche Mutter war, war sie doch eine fürsorgliche. Sie hat sich immer für uns eingesetzt, in der Schule und Ausbildung wie eine Löwin verteidigt, und sie war immer stolz auf uns. Von Natur aus war sie sehr fröhlich und humorvoll, aber in der späten 1950er Jahren war es für sie nicht leicht, mit drei Kleinkindern auf dem Dorf zu leben.

Als wir 1960 nach Niederkassel zogen, war die Siedlung gerade fertig gebaut. Vierzehn Häuser für Kinderreiche Familien, d.h. in jedem Haus mindestens drei Kinder. Die Älteren waren damls schon über zehn Jahre, die Mehrzahl aber wie wir zwischen drei und acht Jahren.

Meine Eltern ließen seitlich unseres Hauses einige qm Sand anliefern, und mein Vater baute aus groben Holzstämmen ein "Kletterhäuschen", von dem wir in diese überdimensionierte Sandkiste springen konnten. Damit war schon mal klar, daß fast alle Kinder zu uns zum spielen kamen.

Der andere große Spielplatz war über Jahre unsere Straße. Die Zufahrt zur Siedlung war damals noch nicht asphaltiert, sondern bestand aus feinem Schotter und endete in einem Wendehammer. Ob Wettrennen -im Sommer meist Barfuß-, Rad- oder Rollerfahren, Rollschuhwettrennen, Ballspiele, Federball oder andere Gruppenspiele, alles fand draußen statt. Wer kennt heute noch die Spiele "Eier, Butter, Käse, Milch" oder "Fischer Fischer wie tief ist das Wasser" oder "Räuber und Gendarm"?

Die Väter arbeiteten, die Mütter machten ihren Haushalt. Wir konnten den ganzen Tag ohne Einmischung der Erwachsenen miteinander spielen. Mittags und Abends wurden wir zum Essen reingerufen, ansonsten draußen uns selber überlassen. Wir erzogen uns sozusagen gegenseitig, und waren da auch durchaus ruppig zueinander. Hinzu kamen unzählige aufgeschürfte Knie und andere Verletzungen. Nur in den seltensten Fällen sind wir damit nach Hause gegangen. Ein paar Tränen, ein bißchen Spuke und es wurde weiter gespielt.

Die Erziehung durch meine Eltern war zwiespältig. Zunächst einmal wurden wir-wie die meisten Kinder in dieser Zeit- hauptsächlich von den Müttern erzogen. Die Väter hatten zu dieser Zeit eine 45 Stunden Woche und mussten auch Samstags vormittags arbeiten. Meinen Vater erlebte ich also nur Samstagnachmittag und Sonntags. Da er ein ruhiger Mensch war, meine Mutter eher lebhaft, kam von ihm selten eine erzieherische Maßnahme.

Meine Mutter hatte einerseits die Auffassung, Kinder braucht man nicht so viel zu er-ziehen, sie wachsen von alleine, andererseits legte sie auf gute Manieren sehr viel Wert.

Die Mischung ist eigentlich prima, aber die Durchsetzung der Tischmanieren war manchmal schmerzhaft, und hat mich so aufgeregt. So drückte sie gerne mal ihren Daumen in die untere Wirbelsäule, wenn ich zusammengesackt am Eßtisch saß, um mich aufzurichten. Oder, wenn ich das Kinn in die Hände stützte, nahm sie unvermittelt einen Unterarm und knallte mir den Ellbogen auf den Tisch. Beides natürlich ohne Vorankündigung.

Sie hat aber auch ab und zu Wettbewerbe mit uns gemacht, wer sich beim Essen am schlechtesten Benehmen kann-und regelmäßig gewonnen. Dann "fletzte "sie sich auf dem Stuhl, den linken Arm vor dem Körper abgelegt, das Kinn knapp über dem Teller, nahm den Mund voll, redete und fuchtelte mit der Gabel vor unseren Gesichtern rum. Und sie spielte gerne. Memory, Mensch ärger dich nicht, Malefiz, Canasta und ein altes Spiel aus ihrer Heimat: Poch. Oft stundenlang, oder, bei verregneten Urlauben auch schon mal tagelang. Für meine Töchter war sie immer die Spieleoma. 

Ich wurde bis auf zwei Ausnahmen nicht geschlagen. Meine Brüder haben sowohl von meinen Eltern als

auch in der Schule schon mehr abbekommen. Beliebt bei Lehren war es, die Jungen an einem Ohr aus dem Stuhl zu ziehen bzw zu drehen, oder "Kopfnüsse" zu verteilen.

Die einzige und letzte Ohrfeige bekam ich so mit dreizehn, vierzehn Jahren. Und die Ausführung hatte meine Mutter 1:1 von ihrem Vater übernommen, der das als sie Kind war mit ihr einmal genauso machte. Ich kam etwa zehn Minuten zu spät, und zwar um 19.10 und nicht wie abgemacht um 19.00 Uhr, also nicht etwa Mitten in der Nacht. Ich klingelte, meine Mutter rieß die Tür auf, und gab mir wortlos eine Ohrfeige. Dann zog sie mich ins Haus und schloß die Tür. Das Dumme war, ich trug eine Brille und die flog bei der Aktion auf die Steintreppe vor dem Haus. Eines der Gläser, damals wirklich noch Glas und kein Plastik ging kaputt. Und es war ein Samstagabend. Danach habe ich keine Ohrfeige mehr bekommen.

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